Dürfen Christ*innenen meditieren?

11.08.2023

Pfarrerehepaar verbindet christliche Kontemplation und fernöstliche Meditation

von: Rieke Eulenstein, Öffentlichkeitsreferentin der Evangelischen Kirchenkreise an der Saar
(https://evangelische-kirche-saar.de/news/Pfarrerehepaar-verbindet-christliche-Kontemplation-und-fernoestliche-Meditation)


Herzensgebet, Qigong, außerdem Taijiquan und Tagesexerzitien im Alltag - das meditativ-kontemplative Angebot der evangelischen Kirchengemeinden in Saarlouis und Schwalbach ist breit gefächert. Möglich wird das durch die besondere Expertise des Pfarrerehepaars Juliane Opiolla und Volker Hassenpflug.

"Bitte ohne Schuhe betreten" heißt es an der Tür zu einem unscheinbaren Raum im ersten Stock des Evangelischen Gemeindezentrums im Herzen der Saarlouiser Altstadt. Der "Raum der Stille" der Kirchengemeinde Saarlouis empfängt Besucher:innen mit einem warmen Ambiente.

Volker Hassenpflug und Juliane Opiolla sitzen hier. Es ist Mittwoch. Bald werden die ersten Mitglieder der von ihnen geleiteten Herzensgebet-Gruppe kommen, die sich wöchentlich in dem Raum trifft. Das Pfarrerehepaar hat eine gemeinsame Tochter – und die beiden vereint ihr Interesse an Meditation und Kontemplation. Schon länger begleitet Opiolla eine Kontemplationsgruppe in Bous, seit April gibt es nun auch den "Raum der Stille", den sie in Saarlouis eingerichtet haben.



Zum Herzensgebet kommen heute vier Frauen zwischen Anfang 30 und Ende 50. Sonst sind es mehr Menschen in der Gruppe, auch Männer, aber in den Sommerferien ist weniger los. Viele sind in Urlaub. Dafür boome derzeit das saisonale Sommer-Qigong im Pfarrgarten. Eine Stunde am Abend, Bewegung an der frischen Luft, sich sammeln nach einem anstrengenden Arbeitstag, Tags zuvor kamen trotz Regen über 20 Menschen zu dem Angebot, das witterungsbedingt im Gemeindesaal stattfand.

Einzigartige Verbindung fernöstlicher und christlicher Praktiken

Herzensgebet, Qigong, außerdem Taijiquan und Tagesexerzitien im Alltag - das meditativ-kontemplative Angebot der evangelischen Kirchengemeinden in Saarlouis und Schwalbach ist breit gefächert und wird gut angenommen. Die notwendige Expertise bringen Opiolla und Hassenfplug mit. Opiolla ist ausgebildete Kontemplationslehrerin, Geistliche Begleiterin und Eutononieleiterin, ihr Mann Hassenpflug zertifizierter Kursleiter für Qigong- und Taijiquan.

In der Herzensgebetsgruppe verbinden sie christliche und fernöstliche Traditionen in einer gemeinsamen Sitzung. Zunächst beginnt Hassenpflug mit einigen Körperübungen, die an Qigong angelehnt sind und dazu dienen, den Alltag hinter sich zu lassen, den eigenen Mittelpunkt zu finden. Erst danach beginnt mit dem Gongschlag seiner Frau das eigentliche Herzensgebet, das in Stille und körperlicher Ruhe begangen wird. Die Teilnehmenden sitzen auf Matten, Bänkchen oder Sitzkissen und lassen in ihrem Innern ihr ganz persönliches Herzenswort klingen. Dieses Wort leitet sie auf dem Weg zur Einkehr und zu Gott.
"Beim Qigong ist man äußerlich in Bewegung und im Inneren still, beim Herzensgebet ist man nach außen hin still und innerlich bewegt", fasst Hassenpflug den Unterschied der Methoden zusammen. Im Zusammenspiel entstehe ein Ausgleich zwischen dem Innen und dem Außen.

Beides gemeinsam zu praktizieren, das sei äußerst selten, wissen die Saarlouiser. Die deutschsprachige Meditationsszene hat immer noch eine überschaubare Größe, man kennt sich untereinander. Dass zwei Volltheolog:innen auch in den anderen Disziplinen ausgebildet und zertifiziert sind, dass sie Herzensgebet und Qigong miteinander verbinden, sei wohl bundesweit einzigartig.

Kirche und Meditation – nicht immer ohne Vorbehalte

Ohnehin ist es nach wie vor nicht alltäglich, dass es solche Angebote in Trägerschaft evangelischer Kirchengemeinden gibt. Lange galten Meditationsformen, insbesondere die fernöstlichen, in den christlichen Kirchen als verpönt. Opiolla weiß das nur zu gut. Noch vor gut 20 Jahren, während ihres Studiums, sei sie im Prediger:innenseminar belächelt worden, wenn sie erzählte, dass sie sich mit Meditation beschäftigte. In den akademisch geprägten Wuppertaler Theologenkreisen gab es "Berührungsängste gegenüber allem Asiatischem", bedauert sie rückblickend.

Dabei wurde Meditation nie ausschließlich im Buddhismus praktiziert. "Viele Religionen haben eine Art der stillen Gottesbegegnung", sagt Opiolla. Das Herzensgebet sei die Form, die im Christentum verwurzelt ist. Vermutlich schon im 4. Jahrhundert nach Christus ist es praktiziert worden. Über die Jahrhunderte hinweg wurde die Tradition in einigen christlichen Klöstern bewahrt, unter anderem auf dem griechischen Berg Athos, wo es bis heute betrieben wird.
In den 1970er-Jahren wurde das Herzensgebet als Weg der christlichen Kontemplation dann in der evangelischen Tradition neu entdeckt. Vor allem Rüdiger Maschwitz, langjähriger Landespfarrer für Kindergottesdienst, trug dazu bei, dass das Herzensgebet im Rheinland Fuß fasste.

Dass es heute solche Angebote in den Kirchengemeinden gibt, ist für die Saarlouiser eine Selbstverständlichkeit. "Spiritualität ist weder eine Ergänzung noch eine Erweiterung zum christlichen Angebot, sondern der Kern des Glaubens", betont Hassenpflug. Meditieren sei ein Weg, mit Gott in Beziehung zu treten, unabhängig von der Religion. Natürlich dürften das auch Christen tun. Und seine Frau pflichtet ihm bei: "Christen dürfen nicht nur meditieren, sie sollten es sogar. Es ist heilsam, das zu tun." In der evangelischen Kirche werde viel Wert auf theologisch wertvolle Gottesdienste, gute Predigten gelegt, da könne das Herzensgebet eine gute Ergänzung sein, weil man einfach nur da sein und es annehmen brauche.

Wie hast du es mit Gott in der Meditation?

Der Glaube an Gott ist keine Voraussetzung für die Teilnahme. Bei den Mitgliedern der Herzensgebet-Gruppen in Saarlouis und Bous sind Anspruch und Selbstverständnis durchaus unterschiedlich. Manche Teilnehmer:innen kämen wegen der Meditation, andere wollten mit Gott in Beziehung treten, so Opiolla. Aber der Weg sei bekanntlich das Ziel und so gebe es auch diejenigen, die über die kontemplativen Angebote wieder einen Bezug zu Gott und damit den Weg in die Kirche fänden. "Man riskiert eben, beim Herzensgebet Gott so zu begegnen, dass man wieder an ihn glaubt", meint Opiolla schmunzelnd.

Aktion aus der Kontemplation heraus

Und mit einem anderen Vorurteil möchten die Saarlouiser unbedingt noch aufräumen. Man höre immer wieder davon, dass sich Menschen, die meditieren, nur mit sich selbst beschäftigten würden. Das Gegenteil sei der Fall, betont Hassenpflug: "Aus der intensiven Beschäftigung mit sich selbst und mit Gott entsteht bei vielen erst der Impuls, sich in die Gesellschaft hinein zu engagieren." Viele nähmen ihre Umwelt bewusster wahr und dadurch entstehe ein Wunsch, sich beispielsweise für ihre Mitmenschen oder die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen. Aus der Kontemplation folge somit die Aktion. "Für mich ist das eine sehr lebendige Art, Glauben und Leben zu erfahren", findet er.

Info:
Die Herzensgebetsgruppen treffen sich montags im Evangelischen Gemeindehaus Saarlouis bzw. freitags im Evangelischen Gemeindezentrum Bous, jeweils 18.30 bis 19.30 Uhr. In regelmäßigen Abständen wird samstags eine Einführung ins Herzensgebt angeboten.
Informationen gibt es bei Pfarrerin Juliane Opiolla, Mail: juliane.opiolla@ekir.de, und bei Pfarrer Volker Hassenpflug, Mail: volker.hassenpflug@ekir.de.